Nr. 12/2004

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Die Zweite Privatisierung der Sportbewegung.*

Formen und Folgen des Wandels von gemeinwohl- zu gewinnorientierten Sportorganisationen.

 

Prof. Dr. Gerhard Trosien – Fachhochschule Heidelberg

 

 

1. Vorbemerkungen

Die Marktöffnung kommt voran – die Diagnose kann bestätigt werden; doch die Interpretationen gehen zwischen Euphorie und Ernüchterung weit auseinander. Neoliberale Verfechter sehen sich bestätigt – Kritiker sehen ihre Befürchtungen bestätigt. Wie wirken sich derartige Prozesse auf Sportentwicklungen aus – zumal auf nationale Sportstrukturen in Deutschland, die über starke Traditionen verfügen? Veränderungen haben Platz gegriffen und neue Begrifflichkeiten sind in die Sportentwicklungen eingezogen, die nicht nur ordnungstheoretisch differenziert zu betrachten sind.

 

Vor über einhundert Jahren (1900) hat das Bürgerliche Gesetzbuch den freiwilligen Vereinigungen in Deutschland eine erste Privatisierung, die Rechtsform und Rechtsfähigkeit nach sich zogen, erlaubt. Sportvereine, die diesen neuen Rechtsrahmen folgten, wurden sogenannte „eingetragene Vereine“. Dieses Kürzel wurde zu einem – neudeutsch gesprochen – untrüglichen „Markenzeichen“ deutschlandweit. Mit dem Eintrag war zugleich die Anerkennung einer Gemeinwohlorientierung verbunden, die seit den 1920er Jahren den Status einer Gemeinnützigkeit einschloss. Damit war klar, „der Staat“ erlaubte nicht nur diese Form der Rechtsfähigkeit, sondern er unterstützte diese Vergesellschaftlichung, sprich die Menschen in der Bevölkerung, auch zusätzlich darin, sich in (Sport)Vereinen zusammen zu schließen, die dies wünschten. Diese Unterstützung hat bis heute angehalten und zu zahlreichen Förderungen direkter und indirekter Art geführt. Ein quantitatives Merkmal kann vorab fest gehalten werden: Aus einigen wenigen (Turn- und) Sportvereinen um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert sind etwa 100.000 Sportvereine (einschließlich der von diesen errichteten Sportverbände) um die Jahrtausendwende geworden. Damit sind zahlenmäßig betrachtet breite Bevölkerungskreise auch über ihre Sportaktivitäten inmitten der Gesellschaft angekommen. Schließlich verkörpern sie auf der Grundlage des Freiwilligkeitsprinzips ein hohes Maß an Partizipationsbereitschaft.

 

Zahlreiche andere Organisationen, die klassischerweise als Bewegungen bezeichnet werden (Religions-, Gewerkschafts- oder Parteienbewegungen) verfügen entweder nicht über die Mitgliedschaftsumfänge oder über entsprechende Beteiligungsformen. Es sind diese Bewegungen, die als Bezugsgrößen herangezogen werden können, will man eine „Zweite Privatisierung“ der Sportbewegung identifizieren. Bewegungen sind nämlich keineswegs homogen in ihren Organisationsentwicklungen. Auch die Parteien, auch die Kirchen und auch die Gewerkschaften verfügen längst über breite Spektren unterschiedlicher Organisationsmuster. So auch die gemeinnützige Sportbewegung, deren Charakterisierung zunächst alle eingetragenen Sportvereine umfasst. Konkurrenz und Kooperation liegen horizontal gleichermaßen vor. Vertikal haben die Mitglieder in Sportvereinen lokale, regionale, nationale, schließlich auch internationale Sportverbände gegründet, die die jeweiligen Anforderungen zu übernehmen haben. Wettkampf-Ligen auf der einen Seite und Interessendurchsetzung auf der anderen Seite nach innen und nach außen sind die zentralen Handlungsfelder übergeordneter Sportverbände, denen zunehmend Dienstleistungsfunktionen attestiert werden.

 

Nun sind in langer Tradition vielfache Ergänzungen vorgenommen worden, die in zweierlei Hinsicht wirken. Einerseits werden eigenständige Organisationen geschaffen, die Wettbewerbsvorteile generieren sollen; andererseits werden gemeinsame Organisationen geschaffen, die die Qualität der Sportbewegung sichern helfen sollen. So verfügt die Sportbewegung über unzählige Fördervereine, Stiftungen usf. auf gemeinnütziger Grundlage. Diese Formen der Ausdifferenzierung sollen nicht weiter verfolgt werden, da diese Spezialisierungen durchaus als konsequent anzusehen sind.

 

Neuartig in Umfang und Bedeutung sind demgegenüber die Ausdifferenzierungen auf wirtschaftlicher Grundlage. Unter, neben oder gar an Stelle bisheriger eingetragener Sportvereine treten Wirtschaftsgesellschaften, die die bekannten Formen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder einer Aktiengesellschaft (AG) annehmen. Hieraus wird eine Art „zweiter Privatisierung“ der Sportbewegung bzw. jener Sportorganisationen, die diese Modelle anwenden, geschlussfolgert. Zentral hängt diese Auffassung damit zusammen, dass das verbreitete Solidarmodell in der Sportbewegung in seinen lukrativen Bestandteilen ersetzt wird durch ein Gewinnmodell.

 

Es sind diese Formen der solcherart vorgenommenen Marktförmigkeit, einer „Zweiten Privatisierung“, die zu analysieren und zu diskutieren sind. Zu den Folgen, die in dieser jungen Entwicklung noch kaum zusammenhängend betrachtet wurden und auch längst noch nicht abschließend überschaubar sind, zählen die täglichen Ausdifferenzierungen in spitzen-, aber auch breitensportlichen Verwertungen. Denn nicht nur Spitzensportakteure, Spitzensportveranstaltungen oder Spitzensportstätten folgen dieser Verwertungslogik, sondern ebenfalls Breitensporteinrichtungen, von denen hier exemplarisch nur die erwerbswirtschaftlich verfassten Vereins-Fitness-Studios genannt werden sollen. Inwieweit die Sportbewegung die Fehler der Gewerkschaftsbewegung, die ein einzigartiges Fiasko mit ihrer gemeinwirtschaftlichen Unternehmenspolitik erlebten, vermeiden kann, ist skeptisch zu beurteilen, da – wie dort auch – aus dem Rahmen wohlmeinender Selbsthilfemaßnahmen Unternehmungen erwachsen (können), die schließlich nicht mehr gesteuert werden können.

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